Roman Schnellbach
Rollstuhl an die Decke hängen?
Samstag 11.07.20
Ich hatte es ja am Mittwoch schon angedeutete, dass eine Therapeutin mir beim Essen eine Idee unterbreitet hat, die seitdem in meinem Kopf herum spukt.
Ich hatte mit Larissa darüber gesprochen, wie es dann zuhause weitergehen kann und soll. Dabei habe ich ihr erzählt, dass bei meinem ersten Besuch zuhause (vor Pfingsten) meine Frau folgendes sagte: „wenn Du dann den Rollator hast, dann können wir Deinen Rollstuhl ja an die Decke hängen.“
Okay, sie dachte schon sehr weit voraus. Denn völlig ohne Rollstuhl, mit Rollator alleine laufen, schien mir noch ein sehr weiter Ferne. Und auch heute weiß ich, dass ich das alleine noch nicht können werde, wenn ich Ende kommender Woche, nach 12 Wochen; wieder zuhause sein werde. Und als Larissa das hörte, sagte sie: „gute Idee.“
Das machte mich erst mal komplett stutzig, weil sie doch auch wissen musste, dass ich allein noch nicht laufen kann. Ja, das weiß sie auch. Und jetzt folgten ein paar Sätze, die mich sehr nachdenklich gemacht haben. Sie fragte mich, brauchst Du den Rollstuhl wirklich? Oder hast Du Dich nur in 25 Jahren komplett an ihn gewöhnt? Das erste am Morgen: vom Bett in den Rollstuhl. Das letzte am Abend, vom Rollstuhl ins Bett. Brauch ich ihn? Oder behaupte ich innerlich einfach, dass ich ohne ihn nicht kann? Gute Frage. Weiter sagte sie, dass ich doch zumindest zuhause versuchen sollte, den Rollstuhl komplett, ja KOMPLETT, wegzulassen. Erste Reaktion in mir: „wie soll das denn bitte gehen:?“
Ok, ein paar Schritte Rollator mit Unterstützung von meiner Frau, das schaffe ich, auch wenn ich immer noch zu viel mit den Armen mache. Auch dazu meinte Larissa, das sei erstmal egal, Hauptsache ich zeige meinem Kopf und meinem Körper, dass ich ohne den Rollstuhl eben auch weiter komme.
Ich habe zum Glück die Situation, dass meine Frau zuhause ist und mir ja auch gesagt hat, dass ich mich auch zuhause, vor allem anderen, um mein Aufstehen kümmern soll. Dass sie mich unterstützen wird.
Wieviele Stühle müsste es geben, auf denen ich immer wieder Zwischenstationen einlegen könnte? Wie oft, wird es mich auf den Boden lassen? Larissa meinte auch, dass ich ja auf dem Hosenboden auch vorwärts käme, wenn es mal gar nicht anders geht. War das mein Plan? Nicht wirklich. Aber wie lernen Menschen denn Laufen? Robben, Krabbeln, Aufstehen - dauernd Hintern auf dem Boden.
Zum Glück hab ich so viel Kraft in den Armen, dass ich auch vom Boden, mit Hilfe eines Stuhls, auch wieder auf einen anderen Stuhl hoch komme. Oder auf das Sofa oder ins Bett. Ich bin auch ohne Rollstuhl nicht völlig hilflos. Nein, bin ich nicht.
Aber könnt Ihr Euch vorstellen, was das innerlich bedeutet? Mit dem Rollstuhl bin ich schnell, komme ich, zumindest bei uns zuhause, gut überall hin. Wenn ich mir das vorstelle, ohne Rollstuhl zu schaffen, dann geht das nur in mikroskopisch kleinen Etappen - erst nur mit Hilfe - und ich brauche so viel mehr Zeit. Halte ich das innerlich aus? Dass ich nur noch mit dem Weg beschäftigt bin?
Auf diese Art Spülmaschine ein- oder ausräumen? Brot backen? Tisch decken? Sorry, aber das kann ich, so wie sich die Idee jetzt anfühlt, komplett vergessen. Bis ich am Tisch bin, sind alle anderen mit dem Essen fertig. So in etwa fühlt sich das in meinen Gedanken gerade an.
Aber… die Idee ist einfach geil, oder? Zwar gnadenlos und sicher nicht zu hundert Prozent jeden Tag umzusetzen. Aber allein die Idee, mich gedanklich schon mal vom Rollstuhl, zuerst in meiner sicheren Umgebung zuhause, zu trennen, ist einfach gut. Ja, ich werde wirklich zeigen müssen, wie ernst es mir mit meiner Idee ist. Das weiß ich. Aber ich habe vor, das zu versuchen - denn je mehr ich meinem Kopf deutlich mache, dass ich etwas ganz anderes will, als weiter den Rollstuhl zu benutzten, desto eher macht auch mein Körper mit. Und je weniger ich ihm anbiete, dass es doch auch bequem und einfach geht, desto mehr erfolg hab ich wohl auch.
Wie weit ich damit komme? Was ich damit schaffe? Ob ich mich überfordere? Weiß ich nicht. Aber wenn ich es nicht versuche, dann werde ich es nie erfahren.
Und ich werde noch mehr loslassen müssen. Wieder so viel mehr an Unterstützung zuhause annehmen oder erbitten müssen, als ich im Rollstuhl gebraucht habe. Auch das ist alles andere als einfach.
Wenn ich das für mich behalten würde, dann könnte ich so tun, als ob es die Idee nie gegeben hätte. Aber weil ich davon erzähle, werdet Ihr mich sicher fragen, oder wissen wollen, was ich schaffe, wie es mir damit geht. Und damit steigt der Anspruch an mich selbst.
Wenn jemand zu dir sagst, das geht nicht, denke daran, es sind seien Grenzen, nicht deine.
Alle haben gesagt, das geht nicht. Da kam einer, der hat das nicht gewusst, und hat es einfach gemacht.
Naja, diese Reha war erst der Anfang - jetzt geht es wohl erst so richtig los