Roman Schnellbach
noch einmal zu #allesdichtmachen
Der Regisseur der Aktion #allesdichtmachen der auch Tatort gedreht hat stellt seine Meinung dar. Auch die darf gehört werden, wie ich finde.
Hass und Hetze gegen kritische Schauspieler: Warum seht ihr
seit gestern so alt aus?
Eine Selbstentlarvung der Dauer-"Guten"
April 24, 2021
Ein Gastbeitrag von Dirk Maxeiner
Gestern ist etwas passiert. Zunächst mal nix Großes. Nur ein paar kleine Videos auf
Youtube und andernorts. Na gut, es waren schon mehr als ein paar, nämlich über 50
kleine Kurzfilme. Echt gut gemacht. Verdammt gut getextet. Beneidenswert professionell.
Und gesprochen von Schauspielern, die des Abends in jedem deutschen Haushalt als
Krimi- oder Spielfilmbesetzung zu Gast sind. Jan Josef Liefers, Meret Becker, Martin
Brambach, Richy Müller, Heike Makatsch, Ulrich Tukur, Wotan Wilke Möhring, Nadja Uhl,
Ulrike Folkerts und so weiter und so fort. Die Creme de la Creme der deutschen
Fernsehabende. Die Glaubwürdigkeit in Person. Jedes Unternehmen in Deutschland
würde sich um ein Testimonial von diesen Herrschaften reißen. Zumindest bis gestern
Abend.
Da haben sie nämlich was gemacht, was keiner so recht erwartet hat. Sie haben sich auf
die subversive Wirkung der Kunst besonnen. Ich erinnere mich noch daran, wie der
„Stern“ am 6. Juni 1971 mit einem Cover erschien. Darauf 374 prominente Frauen mit der
Aussage: „Wir haben abgetrieben.“ Damit hat man damals noch etwas riskiert. Es war ein
Skandal. Liefers & Co. haben aber nicht abgetrieben. Sie haben lediglich begonnen, in
Sachen Corona selbst zu denken. Das ist heute ein Skandal und zeigt den Unterschied
zwischen 1971 und 2021. Was vor 50 Jahren ein Verbrechen war, ist heute
selbstverständlich, und was damals selbstverständlich war, ist heute ein Verbrechen.
Zumindest ein Gedankenverbrechen.
Die Selbstdenker von gestern (22.04.2021) wussten, was sie taten. Denn sie bedienten
sich des Mittels der Satire und Ironie. Beinhart und gekonnt. Vielleicht bewusst, vielleicht
aber auch unbewusst, formulierten Sie ihren Einspruch schon so, wie das Künstler zu
allen Zeiten in Diktaturen gemacht haben. Wenn Jan Josef Liefers den Medien für ihre
verdienstvolle Angstkampagne im Dienste der Gemeinschaft dankt, dann könnte diese
Szene auch für „Das Leben der Anderen“ gedreht worden sein: „Verzweifeln Sie ruhig,
aber zweifeln Sie nicht.“
Das werden sie ihm nie verzeihen. Sie stehen so nackt da und sie sehen genauso alt und
spießig aus. Die Berufsjugendlichen von der Gesinnungspolizei sind gestern Abend um
mindestens 20 Jahre gealtert. Das Image unserer hippen Weltretter fiel für einen kleinen
Moment zusammen wie ein Soufflé, das vom kalten Buffet bei der Verleihung des
Grimme-Preises gekippt ist. Und sie reagieren so pawlowesk wie ein Kaugummi-Automat,
in den man 50 Cent einwirft. Im geistigen Spießerbiotop herrscht Großalarm. Die
Geschütze, mit denen auf die Störenfriede geschossen wird, sind so überdimensioniert
wie die Kanonen der Graf Spee. Von Böhmermann bis Niggemeier klappert das Gebiss ob
des „Dammbruchs“.
Wie die Mäuse in einem Kornspeicher
Es ist zwar bislang nur ein Haarriss, der aber das Zeug hat, zum Dammbruch zu werden.
Klar, die Revoluzzer werden jetzt zur Selbstkritik einbestellt und müssen widerrufen, was
der eine oder andere auch tun wird oder schon getan hat. Aber es wird nichts nützen.
Weder denen, die widerrufen, noch denen, die es fordern. Widerrufen ist nur ein weiterer
Akt im Drehbuch des Totalitären und somit ebenfalls Teil dieser Kunst-Installation. Der
Zweifel ist aber ein Nagetier und vermehrt sich wie die Mäuse in einem Kornspeicher.
Löscht ruhig die Videos, das wird deren ikonographische Rolle nur weiter befördern. Vor
dieser Leistung wird sogar das Zentrum für politische Schönheit den Hut ziehen.
Unseren neuen Standup-Denkern von #allesdichtmachen sei jedenfalls gesagt: Never
complain, never explain. Ihr habt bei den Claqueuren des Staatsbetriebes so oder so
lebenslang verschissen. Es besteht keinerlei Anlass zur Defensive und sie bringt auch nix.
Gestern Abend habt ihr dem deutschen Moralbetrieb eine auf die Zwölf gegeben, damit
kommen diese Hofschranzen ganz schwer zurecht, weil sie Widerstand nicht gewohnt
sind. Und schon gar keinen so intelligenten. Sie hassen euch jetzt, weil ihr ihnen und der
Welt vorführt, was für mittelmäßige, humorlose und spießige Alt-Flaschen sie sind. Es ist
deshalb nur eine Frage der Zeit, bis sich die hübschesten Mädchen und Kerls hinter euch
versammeln. Ihr werdet es noch erleben. Lotta continua!
Gastbeiträge geben immer die Meinung des Autors wieder, nicht meine. Ich schätze
meine Leser als erwachsene Menschen und will ihnen unterschiedliche Blickwinkel bieten,
damit sie sich selbst eine Meinung bilden können.
Dirk Maxeiner, geboren 1953, war Redakteur beim „Stern“. Anschließend bis 1993
Chefredakteur der Zeitschrift natur – der zu dieser Zeit größten europäischen
Umweltzeitschrift. Seit 1993 arbeitet Maxeiner als freier Autor. Er veröffentlichte
zahlreiche Bücher, darunter Bestseller wie „Ökooptimismus“, „Lexikon der Öko-Irrtümer“
und „Hurra wir retten die Welt“. Maxeiner schreibt Kommentare und Essays für Magazine
und Zeitschriften (unter anderem in DIE WELT). Er ist einer der Gründungs-Herausgeber
von achgut.com. Dieser Beitrag erschien zuerst dort. Die Achse des Guten zeigte bisher
immer, wenn ich angegriffen wurde, vorbildliche Solidarität. Während auch andere sonst
kritische Medien schwiegen, hält sie die Fahne echter Kollegialität hoch – dafür gebührt
den Kollegen um Maxeiner, Hendrik Broder und Fabian Nicolay mein Respekt und Dank.

Bild: Pixabay